«This is not wine, this is parfume»
22. November 2016 – Mit Patrick Mayer sprach Franziska Richard
Burgunderweine seien die faszinierendsten und komplexesten Weine, sagt Patrick Mayer. Im nachfolgenden Interview lassen wir den leidenschaftlichen Burgundkenner ausführlich zu Wort kommen.
Patrick, du sagtest mir am Telefon, du würdest dich auf dieses Gespräch freuen. Dann könntest du deiner Hassliebe Burgund einmal so richtig Ausdruck verleihen. Das klingt dramatisch.
Ja, jeder halbwegs vernünftige Weinhändler lässt die Finger von diesen Weinen. Oder er ist ein Masochist wie ich. Diese Weine sind relativ teuer und schwer erhältlich, oft nur in kleinen Mengen. Und alle wollen immer die gleichen Weine der renommiertesten Domainen. Vor dreissig Jahren war es noch möglich, solche Domainen zu akquirieren, heut ist es fast unmöglich.
Also nichts von gemütlichen Soupers und ausladender Becherei mit den Winzern, wie man das etwa aus dem Wallis kennt?
Das ist im Burgund eine ziemlich nüchterne Sache. Aber nach diesen langjährigen Beziehungen, die sich auch zu Freundschaften entwickelt haben, verbringt man auch manchmal gewisse Zeiten am Tisch und degustiert grosse Flaschen aus der Schatzkammer der Domaine. Die Zeiten, als man nur im Keller degustierte, kundtat, welche Weine einen interessieren, und auf eine tolle Zuteilung hoffen musste, sind bei mir zum Glück vorbei.
«Jeder vernünftige Weinhändler lässt die Finger von diesen Weinen. Oder er ist ein Masochist wie ich.»
Was für eine Zuteilung?
Die einzelnen Crus werden oft zugeteilt, da sie mengenmässig oft sehr rar sind. Unsere grösste Zuteilung liegt bei 1500, unsere kleinste bei 18 Flaschen. Da muss man schon gut überlegen, wer eine solche bekommt, zumal es sich um Spekulationsobjekte handelt, die gleich zum doppelten bis dreifachen Preis weiterverkauft werden können. Der Burgunderhandel ist manchmal ganz schön zeit- und nervenaufreibend. Vor allem, wenn Kunden nicht begreifen wollen, dass wir nicht im Bordelais sind, wo von einem Châteaux bis zu 500'000 Flaschen erzeugt werden. Wir vertreten Winzer, die manchmal sogar von einzelnen Crus nur 600 bis 900 Flaschen produzieren.
Weshalb tust du dir das an?
Weil ich noch immer der Meinung bin – und dies nun seit 30 Jahren –, dass das Burgund die faszinierendsten Weine produziert. Sie lassen sich mit nichts vergleichen. Das ist etwas völlig Anderes, etwas ganz Spezielles.
«Das Bordeaux ist Vernunft, das Burgund Sinnlichkeit.»
Etwas ganz Spezielles?
Ja. Sie sind feiner, weniger standardisiert, vielschichtiger und stark vom Terroir geprägt. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich bei einem Abendessen auf der Domäne Dujac. Am Tisch sass ein amerikanischer Weinjournalist, der zum ersten Mal im Burgund war. Beim zweiten Rotwein steckte er seine Nase tief ins Glas, es war ein 78er Clos de la Roche, und meinte: «This is not wine, this is parfume.» In den Aromen dicht und komplex, ohne wuchtig zu sein, eben wie Parfum, so sind grosse Burgunder. Es sind inspirierende, betörende Weine. Das Bordeaux ist Vernunft, das Burgund Sinnlichkeit.
Davon spürt man im Burgund selbst wenig. Die Stimmung ist streng und finster.
Es kann schon finster werden. Im November zum Beispiel, wenn der Nebel tief hängt. Wir sind hier in der grössten nördlichen Weinregion, das darf man nicht vergessen. Die Assoziation zu Wärme gibt es nicht, ich rede ja auch nicht von dieser mediterranen Sinnlichkeit. Wenn diese Traube etwas nicht mag, dann ist es Hitze. Deshalb hat der Wein auch nichts von dieser «fruit confit», diesem Über- und Durchgekochten, was südliche Weine oftmals prägt. Auf den lehm- und kalkhaltigen Böden und im relativ kühlen Klima entwickelt der Pinot noir ganz andere Züge, etwa die Frische und Aromatik von Brombeeren oder Johannisbeeren. Das ist nämlich eine ganz sonderbare Frucht. Sie ist nie wirklich reif.
Gibt es Parallelen zwischen Wein und Mensch?
Diese Leute sind nicht «prima vista», dieses «Siamo amici!» gibt es natürlich nicht. Es braucht Zeit, bis sie sich öffnen, doch dann können sie sehr treu sein. Auch diese Je-m’en-foutisme-Mentalität gibt es nicht. Sie haben etwas sehr Seriöses, auch etwas sehr Akribisches. Das drückt sich dann auch in den Weinen aus. Die sind sehr präzise.
Wie schwierig oder leicht ist es denn, Pinot noir zu keltern?
Sehr schwierig. Der Pinot braucht enorm viel Fingerspitzengefühl. Diese Traube ist absolut kapriziös. Sie treibt früh, somit ist sie frostgefährdet. Die grosse Kunst ist es, den richtigen Erntezeitpunkt zu bestimmen. Erntet man zu früh, hat der Wein eine grünliche Aromatik. Erntet man zu spät, hat er zu wenig Säure. August und September sind entscheidend. Bekommen die Trauben dann noch einmal genügend Sonne, wird der Wein weich, sonst bleibt er hart. Wenn man von Burgundern spricht, denkt man immer an Rotwein. Dabei sind die Weissweine für mich manchmal noch spannender, noch überraschender. Sie werden ja aus der «banalen» Chardonnay-Traube gekeltert und haben gleichwohl so gar nichts zu tun mit diesen runden, fetten Chardonnays, wie sie oftmals von den Grossverteilern angeboten werden. Der weisse Burgunder hat eine wunderbare Mineralität, eine enorme Vielschichtigkeit. Das Problem ist nur, dass er so rar ist. Es gibt fünf Topgemeinden an der Côte de Beaune mit wahnsinniger Reputation und entsprechenden Preisen. Schöne Alternativen bietet unterdessen die Côte Chalonnaise.
«Die Leute sind nicht prima vista, dieses Siamo amici! gibt es natürlich nicht.»
Wie hat man sich im Burgund verhalten, als plötzlich die Weine der Neuen Welt auf den Markt kamen?
Die grossen Domänen hat das kaum gekümmert. Sie konnten ihren Wein wie eh und je problemlos absetzen. Das Burgund gilt international noch immer als die renommierteste Weinregion, in Amerika gar als Messlatte. Die übrigen Domänen gerieten in eine Krise, auch in eine Identitätskrise. Man hat versucht, gefälligere Weine zu keltern, auch solche, die mit einem grösseren Holzanteil schneller trinkbar sind. Neues Holz bricht die spitze Säure und lässt diesen Vanillegeschmack zur Geltung kommen. Die Gefahr ist jedoch gross, dass die Weine überholzt werden. Dann trinken wir diese «Holzsuppen». Es gibt ja mittlerweile auch grossartige Pinot-noir Weine aus anderen Regionen der Welt, zum Beispiel aus der Bündner Herrschaft, aus Deutschland, aus Oregon oder Neuseeland. Sie sind aber anders, in der Regel betonen sie mehr die Fruchtaromen. Die grossen Burgunder sind klassische Terroir-Weine, sie betonen ihre Herkunft, sie sind erdiger, haben in der Jugend mehr Tannine und Säure. Ideale Voraussetzungen für das Reifen eines Weines.
Was bringt dem Wein das Altern?
Bei grossen Burgundern ist es eine Bedingung. Junge Burgunder sind zu wild, so pubertierend. Alte Burgunder sind wie Samt, sie sind enorm lang im Abgang. Selbst nach einem starken Espresso können sie sich geschmacklich wieder bemerkbar machen. Doch heute will ja niemand mehr auf einen Wein warten. 80 bis 90% aller Weine werden zu früh getrunken. Der Burgunder jedoch lässt auf sich warten, das ist so wunderschön anachronistisch. Den besten hat man nie getrunken, es gibt immer noch einen besseren, den schlechtesten auch nicht, ist gibt immer noch einen schlechteren ... aber die Enttäuschungen sind rarer geworden.
Was tut sich in den Rebbergen und den Kellereien? Sind die Jungen am Werk?
Ja, mit neuer Technik und neuem Wissen. Man hat beispielsweise erkannt, wie wichtig die Arbeit im Rebberg ist. Das war früher nicht so. Heute gibt es mehr Domänen, die guten Wein produzieren. Lange Zeit hiess es, nicht zu Unrecht, dass es neben den Topprodukten zu wenig gute Basisweine gebe. Für den Handel ist es interessanter geworden, aber nach wie vor unstet. Wenn es einem Youngster gelingt, einen guten Wein zu produzieren, heisst dies noch lange nicht, dass man zukünftig auf ihn zählen kann. Im nächsten Jahr kauft er Traubengut von anderen Weinbauern auf. Und damit er die nötige Menge kriegt, muss er unter Umständen Konzessionen an die Qualität machen.
«Für mich sind die Weissweine manchmal noch spannender, noch überraschender.»
Wird das Wissen nicht mehr von Vater zu Sohn resp. Tochter überliefert?
Nein. Die Jungen besuchen Weinschulen, in Beaune und Dijon. Danach sammeln sie Erfahrungen ausserhalb des Burgunds, im Bordeaux, oftmals auch in Kalifornien. Damit entsteht eine interessante Symbiose zwischen der burgundischen Tradition und äusseren Einflüssen, ohne dass es zu einer Verflachung und Verfälschung kommen würde. Dafür ist die Pinot-Traube zu eigenständig, zu charaktervoll. Die Stilvielfalt ist enorm, jede Domäne hat ihre eigene Handschrift, das ist eben auch so spannend.
Tauscht man sich auch aus?
Ja, enorm. Die alten Winzer waren enorm introvertiert. Wenn man sie fragte, was auf der Nachbarndomäne gekeltert wird, hoben sie die Schultern und sagten: «Das wissen wir nicht, das geht uns nichts an.» Jetzt hat das Burgund Konkurrenz bekommen, jetzt rückt man stärker zusammen. Das Burgund schien gebaut, jetzt ist alles wieder in Bewegung. Junge Winzer produzieren sagenhaft gute Weine. Das Niveau war noch nie so hoch, leider auch die Preise.
Zur Person | Patrick Mayer (59) ist Verwaltungsrat der unter anderem auf Burgunderweine spezialisierten Weinhandlung Siebedupf in Liestal/BL. Der wortgewandte Liestaler degustiert für die Zeitschrift «Bourgogne aujourd’hui». Kaum einer kennt und versteht diese Weine besser, kaum jemand schaut genauer hin, auch bei den Produzenten. Und kaum einer betrachtet sie, bei aller Leidenschaft, so kritisch. Patrick Mayer ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern.