Niklaus Manuel – ein gewichtiger Berner
10. Januar 2017 – Mit Susan Marti sprach Franziska Richard
Nicht jedes Wetter lockt auf die Skipiste. Warum nicht mal einen Bern-Bummel ins Auge fassen? Ein spannendes Stück Bern lässt sich derzeit mit der aktuellen Wechselausstellung des Bernischen Historischen Museums erleben, die dem schillernden Künstler und Politiker Niklaus Manuel gewidmet ist.
Wenn das Wetter sich von der garstigen Seite zeigt, lässt man das Skifahren besser bleiben und gönnt sich Ruhe- und Mussestunden im Hotel. Oder taucht ab ins Unterland und geniesst Kultur, Gastronomie und Shopping in der Hauptstadt. Bern ist lediglich eine knappe Autostunde von Adelboden entfernt (in 1 ½ Stunden mit dem ÖV erreichbar) und bietet gerade dem historisch und kulturell interessierten Besucher so einiges. 6 km Laubengänge, Figurenbrunnen aus der Renaissance, das Münster, weitgehend erhaltene Sandsteinfassaden sowie eine einzigartige Dächerlandschaft prägen das Bild der 1191 gegründeten Stadt Bern. Ein gutes und spannendes Stück Bern lässt sich jetzt, im Jubiläumsjahr «500 Jahre Reformation», auch mit der Wechselausstellung «Söldner, Bilderstürmer, Totentänzer – Mit Niklaus Manuel durch die Zeit der Reformation» erleben, die noch bis 17. April im Bernischen Historischen Museum zu sehen ist.
Als Manuels berühmtestes Werk wird der Berner Totentanz in Form von Albrecht Krauws Kopien gezeigt. Zwischen 1517 und 1522 malte Manuel in 24 Szenen 41 Figuren als Vertreter aller Stände an die Friedhofsmauer des Berner Dominikanerklosters. Daneben wird mit Gemälden, Zeichnungen, Holzschnitten und Texten, aber auch Waffen, Kostümen und Skulpturen ein Grossteil seines künstlerischen Schaffens gezeigt, das mit Werken von Zeitgenossen wie Albrecht Dürer, Hans Baldung Grien und Urs Graf ergänzt wird.
Aufstieg vom Secondo in die höchsten Machtzirkel
Der energische Mann, der sein kurzes Leben (1484‒1530) als italienischer Secondo weitgehend in Bern verbrachte, war und tat vieles. Er heiratete in eine einflussreiche Familie, was ihm den Weg in die Politik ebnete und später in die Diplomatie. Er malte, zeichnete, ging als Söldner in den Krieg, kam verletzt zurück und tauschte danach den Pinsel mit der Feder, um sich mehr und mehr papst- und kirchenkritisch Gehör zu verschaffen. Mit Niklaus Manuel haben die Berner zwar keinen Reformator in Reinkultur wie etwa die Zürcher und Genfer mit Zwingli und Calvin. Gleichwohl befeuerte er den Reformationsprozess in Bern und seinem Untertanengebiet massgeblich. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Werke waren seine 1522 und 1523 verfassten Fasnachtsspiele, eine ebenso ätzende wie fundamentale Papst- und Kirchenkritik. Sie wurden 1523 in Bern aufgeführt und auch gedruckt, womit Niklaus Manuel praktisch über Nacht zum populärsten Literaten der Stadt wurde. Als Mitglied des Kleinen Rates wirkte er ab 1523 an der Säuberung der bernischen Kirchen von «Götzenbildern». Es waren just seine in den Anfängen gemalten Kirchenbilder, die er einige Jahre später als Reformationsbefürworter entfernen liess.
Wir sprachen mit der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Susan Marti, über diesen gewichtigen Berner ‒ und auch über andere Berner Orte, die man auf keinen Fall verpassen sollte.
Frau Marti, gerade bei unseren ausländischen Gästen steht ein Bern-Besuch fast immer auf dem Programm. Vor einigen Jahren begleitete ich ein deutsches Ehepaar und erlebte, wie sehr dieses von der «Unversehrtheit» dieser Stadt beeindruckt war. Können Sie das nachvollziehen?
Ja. Gerade für Besucher aus Deutschland und Frankreich ist die Unversehrtheit Berns sehr eindrücklich. Auch seine Kompaktheit und Homogenität. Bern, im Besonderen die Altstadt, ist architektonisch wesentlich einheitlicher als Zürich oder Basel. Aussergewöhnlich ist natürlich auch die Lage. Die Stadt fügt sich sehr schön in die Aareschlaufe. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
Was gefällt Ihnen persönlich besonders gut an Bern?
Die Laubengänge. Sie sind sehr typisch für Bern. Man ist auch vor Regen geschützt und kann schön flanieren. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele kleine unverwechselbare Läden es in der Berner Altstadt gibt, während in anderen, auch ausländischen Grossstädten das Einerlei der immer gleichen Warenhäuser dominiert.
«Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele unverwechselbare Läden es in der Berner Altstadt gibt.»
Was muss man in Bern gesehen haben?
Ich empfehle Gästen, mit der Bahn anzureisen, zu Fuss hinunter in die Altstadt zu spazieren und sich dabei auch das Münster mit der Münsterplattform anzuschauen. Diese bietet einen sehr schönen Ausblick. Bei der Nydeggbrücke dann rechts abbiegen und der Aare entlang flussaufwärts zum Bernischen Historischen Museum spazieren.
Dann verpasst man aber den schönen Blick, den man von der Kirchenfeldbrücke auf die Berner Alpen hat.
Den haben Sie dann auf dem Rückweg, wenn Sie über die Kornhausbrücke und am Hotel Bellevue Palace vorbei zum Bundeshaus spazieren, das ebenfalls sehenswert ist.
Zur Person
Susan Marti, Dr. phil., ist Kuratorin für Mittelalter, Skulpturen und Grafik am Bernischen Historischen Museum. Sie hat an mehreren grossen Ausstellungsprojekten zur mittelalterlichen Kulturgeschichte mitgearbeitet und forscht zur Kunst aus Frauenklöstern, zu spätmittelalterlicher Buchmalerei und zur Sammlungsgeschichte in Bern.
«Niklaus Manuels Leben spiegelt eine ganze Epoche.»
Das Bernische Historische Museum widmet seine aktuelle Wechselausstellung dem Künstler und Politiker Niklaus Manuel. Was fasziniert Sie persönlich an dieser Person?
Seine Vielseitigkeit und Wandlungsfähigkeit, die vielen Rollenwechsel, die auch exemplarisch für die Epochenschwelle vom Mittelalter in die Neuzeit stehen. Sie war durch das Aufkommen des Buchdruckes, die Entdeckung Amerikas, die Renaissance und den neuen Glauben geprägt. In Manuels Leben spiegelt sich eine ganze Epoche. Darüber hinaus hatte er einen scharfen Blick für die Eigenheiten des Menschen, eine satirisch-karikierende Ader. Mir gefällt auch sein starker Durchsetzungsdrang.
«Mir gefällt seine satirisch-karikierende Ader und sein starker Durchsetzungsdrang.»
Wo kommt dieser satirisch-karikierende Blick am deutlichsten zum Ausdruck?
Er zieht sich fast durch sein ganzes Schaffen und ist auch in Manuels Totentanz erkennbar. Der Künstler siedelte diesen in der Gegenwart an und gibt damit ein Bild der damaligen Gesellschaft Berns wieder. Der Tod wird durch halb verweste und grinsende Figuren dargestellt, die mit allen Ständen ihre groben Spässe treiben. Manuel schliesst sich selbst mit ein: Von hinten entreisst ihm der Tod die Malwerkzeuge. Viele seiner Werke, so auch der Totentanz, sind erotisch aufgeladen.
Wie äussert sich diese Erotik?
Manuel macht immer wieder deutlich, dass sinnliches Begehren sündhaft ist und letztlich zum Tod führt – etwa dann, wenn ein Totenskelett in einem zerfetzten Reisläuferkostüm ein junges Mädchen küsst und diesem zwischen die Beine greift. Die Ambivalenz von Abschreckung und sinnlicher Anziehung kommt in seinen verführerisch «echt» gemalten Bildern stets zum Tragen.
Bei Ihrer Animation tanzt der Tod nach modernen Klängen mit lebensgrossen Figuren von Niklaus Manuel. Eine Brücke zum Heute. Nehmen die Besucher dies auch so wahr?
Natürlich stand der Totentanz damals vor einem ganz anderen Hintergrund. Gerade durch Kriege, eine hohe Sterblichkeit und eine geringe Lebenserfahrung, nicht zuletzt wegen der Pest, waren die Menschen mit dem Tod in einer viel direkteren Weise konfrontiert. Der Totentanz ist ja eigentlich eine Busspredigt in Bild und Text über die Hinfälligkeit des Lebens. Jeder stirbt, egal welchen Standes, und nur die Bussfertigkeit schützt vor der ewigen Verdammnis. Interessanterweise wird die mittelalterliche Gattung des Totentanzes auch heute immer und immer wieder aufgegriffen, verändert und in andere Kunstgattungen übertragen. Die gleichzeitige Präsenz von Tod, Tanz und Kunst fasziniert auch heute.
Niklaus Manuel war auch ein Renaissancekünstler. In welchen Werken ist dies am offenkundigsten sichtbar?
Sehr ausgeprägt in Kupferstichen und Zeichnungen. Inspiriert von Albrecht Dürer und den italienischen Renaissancekünstlern, befreite sich Manuel von den Konventionen der sakralen Malerei und fand zu einer eigenen Ausdrucksweise. Er beschäftigte sich sehr intensiv mit dem Aktbild des weiblichen Körpers. Obschon er um anatomische Korrektheit bemüht war, gab Manuel keine realistischen Darstellungen wieder. Oft haben auch sie einen satirischen oder witzigen Unterton. Der weibliche Körper war für ihn zentral. Er zeichnete nackte und bekleidete Frauen, alte und junge, schön gerundete und hässlich ausgemergelte Körper – Jungfrauen, Hexen und weibliche Allegorien.
Wie bedeutend war Niklaus Manuel im Vergleich mit anderen Schweizer Renaissancekünstlern?
Bedeutend, wenn er auch nicht so bekannt war wie Hans Holbein. Viele grosse Renaissancewerke von Niklaus Manuel sind normalerweise in den Kunstmuseen Bern und Basel zu sehen. Jetzt sind sie als Leihgaben bei uns. Derzeit zeigt auch das Kunstmuseum Bern mit seiner Sammlungspräsentation «Berns verlorener Altar» bedeutende Werke des Künstlers.
«Bern war im 16. Jahrhundert – als grösster Stadtstaat nördlich der Alpen – äusserst bedeutend und mächtig.»
Inwiefern hat die Kriegserfahrung Niklaus Manuel und seine Kunst geprägt?
Schlachtendarstellungen waren nicht Manuels Thema, wohl aber einzelne Szenen aus dem Alltag der Söldner – oft etwa ein Reisläufer und eine Prostituierte oder zwei kämpfende Männer. Die Gewalterfahrung findet auch in seinen Texten Niederschlag, wenn er mit drastischen Worten etwa den Kriegsharnisch des Papstes beschreibt.
Die heutige Bedeutung von Bern dürfte mit jener im 16. Jahrhundert ziemlich auseinanderklaffen.
Bern war im 16. Jahrhundert – als grösster Stadtstaat nördlich der Alpen – äusserst bedeutend und mächtig. Erstaunlich ist aus heutiger Sicht vielleicht auch, dass im frühen 16. Jahrhundert die Gesellschaft deutlich durchlässiger war. So ist es auch zu erklären, dass Niklaus Manuel vom Secondo in die höchsten Machtzirkel aufsteigen konnte. Später grenzte sich die obere Schicht wieder stärker ab.
Welche Bedeutung hatte das Herrschaftsgebiet von Bern im Reformationsprozess?
In Bern verlief der Reformationsprozess langsamer, insgesamt dauert er ca. 10 Jahre. Bern war für die Versorgung, stärker als beispielsweise Zürich, vom Umland abhängig. Die Stadt war deshalb darauf angewiesen, mit dem Untertanengebiet einen Konsens zu finden, ein sorgfältiges Abtasten. Gleichzeitig kam Bern eine Schlüsselrolle zu, da es der Waadt und Genf zum Durchbruch der Reformation verhalf.
Wie präsent ist Niklaus Manuel im heutigen Berner Alltag?
Verschiedenes ist in Bern nach ihm benannt, mir kommen gerade ein Schulhaus, eine Strasse und eine Stiftung spontan in den Sinn. Gleichzeitig ist Manuel auf dem Giebel der Berner Kantonalbank beim Bundesplatz dargestellt, auch sein Wohnhaus an der Gerechtigkeitsgasse 72 trägt seinen Namen. Ausserhalb von Bern ist er zu Unrecht relativ unbekannt.