Birchers Mus ‒ ein Muss
4. Oktober 2017 – Von Franziska Richard
Vor 150 Jahren wurde Max Bircher-Benner geboren. Das Müsli des revolutionären Mediziners wird derzeit gerade etwas gefeiert ‒ Anlass für uns, ein paar Worte über seinen und unseren Frühstücksstärker zu verlieren.
Das Birchermüsli – wer weiss es nicht – verdanken wir dem Naturarzt Max Bircher-Benner, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts antrat, um gegen die Degeneration der Gesellschaft anzukämpfen. Im März 1904 eröffnete er am Zürichberg das Sanatorium «Lebendige Kraft», eine Art Frühform einer Wellness-Destination. Hier gönnten sich bekannte Persönlichkeiten wie Thomas Mann, Yehudi Menuhin oder Maria Becker und Naturfreunde im Allgemeinen eine Auszeit. Wirklich krank waren sie nicht, zumindest die wenigsten, aber die Sehnsucht, durch eine veränderte Lebensweise ein besseres, auch psychisches Wohlbefinden zu erzielen, existierte schon damals. Nirgends waren sie besser aufgehoben als bei Bircher-Benner. Er war seiner Zeit weit voraus und vertrat bereits einen «ganzheitlichen Ansatz»: Nur eine völlig geänderte Lebensweise (inklusive der Ernährung) könne das Übel der Zivilisation beheben.
Bircher, so die Legende, schaute sein Müsli den Sennen ab.
Besondere Bedeutung schenkte Bircher der vegetabilen Rohheilkost, deren berühmtestes Produkt die «Apfeldiätspeise», das spätere Birchermüsli, wurde. Will man der Legende Glauben schenken, erhielt Bircher die Eingebung zum Birchermüsli von Sennen, bei welchen er nach einer Bergwanderung eine äusserst kräftigende Mahlzeit aus zermahlenem Korn, Obst, Milch und Nüssen bekam.
Das Urmüsli
In der Klinik wurde die «Spyss» nach einem Rezept grammgenau zubereitet. Geriebene Äpfel bildeten die Basis, dazu kamen über Stunden, wenn nicht Tage eingeweichte Haferflocken und Getreidekörner. Neben rohen Früchten durften auch Haselnüsse oder Mandeln nicht fehlen. Mit ein paar Löffeln Kondensmilch wurde alles zu einem nahrhaften Brei zusammengerührt. Bircher-Benner galt als ernster Mann mit einem schon beinahe missionarischen Eifer. Da und dort wird sein Müsli denn auch als Produkt und Symbol seiner Utopien einer gesunden und damit heilen Welt verstanden.
Die «Spyss» wurde grammgenau zubereitet.
Deshalb wissen wir heute nicht, ob Max Bircher-Benner sich an der Tatsache erfreuen würde, dass sein Müsli rund um den Erdball bekannt und geschätzt wird, oder ob es ihn vielmehr grämen würde, dass die «Spyss» doch einiges an Verfälschung und Verfremdung erdulden musste. Schliesslich greift die Lebensmittelindustrie bei ihren «Lifestyle-Müslis» beherzt zu industriell hergestellten Mischcerealien und künstlichen Vitaminen.
Die Bellevue-Adaption
So werfen auch wir einen prüfenden Blick in unsere eigene Birchermüsli-Schüssel. Was ist vom Original noch zu erkennen? Industriell hergestellte Cerealien kommen auch uns nicht ins Haus resp. in die Schüssel. Nur Haferflocken. Und wie der Gang in die Küche zeigt, haben auch wir unsere Prinzipien, an welchen seit 30 Jahren nicht gerüttelt wird: Äpfel bilden wie bei Bircher die Basis, und zwar saure Sorten wie Boskop und Jonathan, die dem Frühstücksstärker Frucht und Frische verleihen. Dazu kommen etwas Zitronensaft und -zeste, Bananen in feinen Scheiben und Johannisbeeren. Keine anderen Früchte, auch keine Nüsse. Sicher nicht nach Originalrezept, doch wir finden eben, dass diese Zutaten wunderbar zusammenpassen und weniger mehr ist. Anstelle von Kondensmilch verwenden wir ein Sauermilch-Jogurt, das so gut schmeckt und bekömmlich ist, dass sich vielleicht gar Bircher umstimmen liesse. Und wohl ganz im Sinne des Reformers: Das Müsli kommt jeden Tag frisch zubereitet auf den Frühstückstisch.
Birchers «neun Ordnungsgesetze des Lebens»
Oder anders gesagt: Man ist, was man isst. Birchers Sicht der Dinge lässt sich in manchem heutigen Diätbuch nachlesen und sind noch heute aktuell:
- Die pflanzliche Rohnahrung übt Heilwirkung aus
- Die Ernährung ist ausgewogen, vollwertig und mehrheitlich vegetarisch
- Die Nahrungszufuhr ist sparsam und deckt nur den tatsächlichen Bedarf
- Das Kauen und das Umfeld beim Essen haben für die Nahrungsaufnahme und -verwertung grosse Bedeutung
- Licht, Luft und klares Wasser üben über die Haut günstige Heilreize aus
- Richtiges Atmen ist Lebensgrundlage