Die andere Slow-Food-Küche
23. Juli 2018 – Franziska Richard
Das Küchenteam im «Bellevue» liebt das Sous-Vide-Garen. Die Methode bietet viele wunderbare Möglichkeiten, das Beste aus jedem Produkt herauszuholen. Wir haben unseren Köchen beim Fachsimpeln zugehört.
Gestern war ein Schweinebauch auf dem Menü. Er war butterzart, und man dachte natürlich, das sei ein grossmütterlich geschmortes Gericht. Umso grösser dann die Überraschung: Nein, dieses feine Gericht wurde mit der Sous-Vide-Methode zubereitet.
Jürgen Willing: Ja, diese Methode ersetzt bei uns zunehmend das Schmoren. Wir garen dabei bei viel tieferen Temperaturen mit sehr viel mehr Zeit. Der Schweinebauch beispielsweise wird während dreier Tage bei 68 °C gegart, danach wird er noch angebraten, die Sauce produzieren wir separat. Beim Fisch gehen wir sogar auf 40 °C runter.
Eine Slow-Food-Küche?
David Urban: Ja, das Geniale ist halt, dass die Aromen nicht entweichen können – mehr noch: Durch den Luftabschluss dringen sie tiefer in das Produkt ein und geben diesem einen viel intensiveren Geschmack. Sehr ausgeprägt geschieht dies bei marinierten Produkten. Die zugegebenen Gewürze, Kräuter, Öle etc. ermöglichen ein noch intensiveres Aroma; dank den tiefen Temperaturen bleiben die Texturen sehr zart. Es gibt kein Austrocknen.
«Das Geniale ist, dass die Aromen so nicht entweichen können.»
David Urban
Wie ist die Kochmethode überhaupt entstanden?
Jürgen Willing: Wenn man der Anekdote glaubt, waren es in den 1990er-Jahre die sogenannten «jungen Wilden», die vakuumierten Fisch in einer Geschirrspülmaschine im Schonspülgang garten – mit Erfolg. Doch seinen Anfang nahm Sous Vide bereits in den 197oer-Jahren, die französische Spitzengastronomie entdeckte die Methode. Der Schritt vom vakuumierten Produkt zum Garen unter Vakuum war natürlich nicht mehr weit. Die Lebensmittelindustrie fand auch sehr rasch Gefallen an dieser in vielerlei Hinsicht vorteilhaften Methode. Wir im «Bellevue» kochen gewisse Gemüse schon sehr lange so; vermehrt nun auch Fisch und Fleisch.
Celina Friedrich: Ich finde Sous Vide für Gemüse besonders gut, weil die Vitamine und Nährstoffe, neben der Farbe des Gemüses, erhalten bleiben.
Können ihr kurz erklären, wie ihr vorgeht?
Bakos Istvan: Zuerst werden alle Zutaten in den Beutel nebeneinandergelegt, so können sie die leiche Temperatur erlangen. Fettstoff und Gewürze kommen auch rein. Danach garen wir den Inhalt im temperierten Wasserbad oder im Steamer bei sehr tiefen Temperaturen.
Kommt das Gericht dann direkt auf den Teller?
Jiri Urban: Nein, wir reduzieren den Jus, der entsteht, würzen nach, geben manchmal auch Fettstoffe hinzu. Das Entrecote zum Beispiel kommt danach noch auf den Grill, um die Röstaromen zu bilden.
«Pröbeln macht extrem Spass.»
Jiri Urban
Kochen im Beutel. Ist das nicht gewöhnungsbedürftig?
Celina Friedrich: Das ist kein Problem. Ich finde es aber schade, dass der Kunststoff weggeworfen werden muss und noch nicht abbaubar ist. Hoffentlich kommt das bald.
David Urban: Für den menschlichen Körper ist er unbedenklich, denn er enthält keine Weichmacher. Das Schöne ist die Überraschung, der Moment, wenn man den Beutel aufschneidet und das Resultat sieht und riecht. Da hat man es mit einer Wundertüte zu tun. Bei dieser Methode kann man nicht ständig nachbessern und -würzen. Man muss sich von Beginn an entscheiden, es braucht Systematik.
Pröbeln Sie auch?
Jiri Urban: Natürlich, und das macht extrem Spass. Wir schreiben uns jedes Mal auf, wie wir vorgegangen sind. Und lernen aus der Erfahrung. Natürlich haben wir auch gute Bücher zum Thema.
Wird Sous Vide in der Berufsschule schon unterrichtet?
Celina Friedrich: Bei uns ist es im praktischen Kochen ein Thema.
Janick Locher: Bei uns kaum, was ich schade finde. Für mich ist die Technik deshalb sehr neu – und sehr cool. Natürlich braucht es in einer Küche auch das konventionelle Kochen.
Weshalb?
Janick Locher: Weil sich schon nicht jedes Gericht für diese Methode eignet: Coq-au-vin, Kalbshaxe, Jus, Saucen – das funktioniert nicht. Und nur Sous Vide wäre langweilig. Schön am Kochen ist doch, dass wir mit den verschiedensten Techniken spielen und variieren können.
«Sous Vide ist aus der Gourmetgastronomie nicht mehr wegzudenken.»
Jürgen Willing
Ist Sous Vide mehr als nur ein kurzlebiger Trend?
Jürgen Willing: Ja, sicher. Es ist Zukunftsmusik und langfristig die weit wichtigere Entwicklung als die Molekularküche, denn neben den Vorteilen punkto Geschmack, Textur, Vitamin- und Nährstofferhalt hat Sous Vide auch grosse ökologische und ökonomische Vorteile. Mit der verlängerten Haltbarkeit gibt es viel weniger Food Waste; Kochen lässt sich so auch viel besser planen. Der Volumenverlust ist ebenfalls viel geringer. Ich denke, dass Sous Vide aus der Gourmetgastronomie nicht mehr wegzudenken ist. Die Methode ist auch im Privathaushalt stark im Kommen. Aber wie es Janick richtig sagt: Wir Köche wollen natürlich auf der ganzen Klaviatur spielen.