Sehnsuchtsorte ins Bild gerückt
7. August 2018 – Franziska Richard
Das Berner Oberland hat eine reiche fotografische Kultur. In Adelboden ist sie eng mit den Namen Gyger und Klopfenstein verbunden, zwei Pionieren der Postkartenfotografie. Doch die Schönheit der Landschaft reizt auch die Hobbyfotografen.
«Ratsch machte es, und die Glasplatten lagen im Eimer.» Der 1886 in Achseten in eine kinderreiche Familie hineingeborene Emanuel Gyger sei nicht so schnell mit sich zufrieden gewesen, weiss sein Urgrossneffe Jürg Gyger von den Erzählungen seines Vaters Peter. «Er hatte hohe Ansprüche an seine Fotografie. Als Junggeselle konnte er sich ganz der Fotografie widmen. Im Laden sah man ihn kaum.» Emanuel Gyger und dem später mit ihm assoziierten Arnold Klopfenstein komme mit ihren Gebirgsaufnahmen eine ähnliche Bedeutung für das Berner Oberland zu, wie sie der 1877 geborene Albert Steiner für Graubünden habe, schreibt Paul Hugger in seinem Buch «Das Berner Oberland und seine Fotografen». Emanuel Gyger gilt gemäss Hugger als der stilbildende Fotograf der ganzen Region.
Emanuel Gyger gilt als der stilbildende Fotograf der ganzen Region.
Gyger war wahrlich kein Schwärmer. Er zeigt den Berg in seiner felsig-massigen Struktur und lässt ihn für den Betrachter fast bedrohlich erscheinen. Für Steiner hingegen ist das Gebirge eher Verheissung, ahnungsvolle Silhouette und Verweis auf weitere Horizonte. Auch die
Ein Gebirge, zwei Sichtweisen
Herkunft der Fotografen prägte ihr Schaffen. Die meisten im Berner Oberland stammten aus der Region selbst, oftmals aus kinderreichen Bergbauernfamilien. Sie zeigten das Harte und Herausfordernde der Berge, im Gegensatz zur «Ästhetisierung» der Bündner Fotografen, die grösstenteils aus dem Unterland kamen. Das Fortkommen von Emanuel Gygers Fotogeschäft steht im engen Zusammenhang mit Arnold Klopfenstein, der bei Gyger die Lehre absolvierte und 1928 als Teilhaber ins Geschäft kam. Das Zweiergespann verband ein ausgeprägter Schaffensdrang, sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht. Beide wortkarg, zäh und begeisterte Berggänger, scheuten sie keinen Aufwand und Weg. Mit schwerem Fotomaterial beladen, bestiegen sie auch die Dufourspitze und das Matterhorn. Häufiges Reiseziel war das Wallis, dessen Postkartengeschäft noch in den Anfängen steckte. Es prosperierte so sehr, dass sie in den 1940er-Jahren gar mit einem eigens für sie reservierten Glacier-Express-Wagen unterwegs waren, der nach den Weisungen der Fotografen anhielt.
Präsenz im Wallis und Berner Oberland
Peter Klopfenstein, der ein Enkel des Pioniers Arnold Klopfenstein ist und das Familienunternehmen mit seinem Bruder Stefan führt, öffnet Interessierten gerne das stolze Lager. Tausende von Karten liegen fein säuberlich sortiert in den Regalen. Die Namen Klopfenstein und Gyger als weit verzweigte Fotografenfamilien (unter ihnen auch der national tätige Fotograf Marcus Gyger) stehen noch heute für die Postkartenfotografie. Allerdings wurde das Geschäft 1960 getrennt, damit sich die mittlerweile erwachsenen Söhne ein eigenes Geschäft aufbauen konnten. Aufgeteilt wurden damals auch die Kundengebiete. Seither deckt Photo Klopfenstein das Wallis ab (mit 4000 Postkartensujets) und führt auch das Archiv der historischen Bilder ab 1896; mit 1600 Sujets «regiert» der Photo Verlag Gyger über das Revier des Berner Oberlandes. In Adelboden fotografieren beide – mit erstaunlich ähnlichen Vorstellungen von Qualität: starke Farben und Kontraste, Tiefe, gutes Licht. Gleichwohl sind ihre Bilder leicht voneinander zu unterscheiden: Während Klopfenstein dem «Klischee der klassischen Postkarte» bewusst treu bleibt, darf bei Jürg Gyger ein Bild auch mal etwas melancholisch sein, vernebelt, mystisch.
Das Handy hat dem Postkartengeschäft einen starken Dämpfer verpasst.
Das Lied von der Digitalisierung können beide singen. Vor allem das Smartphone, mit welchem Feriengrüsse in Sekundenschnelle verschickt werden, hat dem einst florierenden Postkartengeschäft einen starken Dämpfer verpasst. In den letzten 20 Jahren ist es um ca. 50% geschrumpft. «Mittlerweile sind es fast nur noch die Ü40, die Postkarten kaufen, und noch die, die auf eine prestigeträchtige Lebensreise gehen», meint Jürg Gyger. Der chinesische Tourist zum Beispiel, der in der Jungfrau-Postkarte, die er mehrfach mit nach Hause bringt, eine Trophäe oder zumindest ein analoges Beweisstück sieht.
Mit neuen Standbeinen in die Zukunft
Obschon die Postkarte in beiden Verlagen mit einem Anteil von 40 bis 50% noch immer das wichtigste Standbein bildet, suchten diese neue Geschäftsbereiche, da sich auch mit der Landschaftsfotografie als Auftragsarbeit nicht mehr genügend Geld verdienen lässt. Klopfenstein betreibt schon lange eine Papeterie und setzt zusätzlich auf Akzidenzdruck und Beschriftungen. Jürg Gyger hat ebenfalls in eine Papeterie investiert und in eine Bar. Mit Freude und Freunden braut er heute ein eigenes Bier. Diese Ausrichtung erlaubt beiden, bei ihren Wurzeln zu bleiben: der Postkarte.
Die Leidenschaft der Hobbyfotografen
Die Faszination Bild scheint ansteckend zu sein. Jedenfalls gesellen sich zu den beiden Pionieren mindestens ein Quartett von freischaffenden Adelbodner Fotografen hinzu. Die vier bieten ihre Landschaftsbilder zwar kommerziell an, müssen aber – mit einer Ausnahme – nicht davon leben. Sie deshalb als Hobby- oder Amateurfotografen zu bezeichnen, würde ihrer Professionalität und Ernsthaftigkeit nicht gerecht werden.
Meister der Stimmungen: Lukas Allenbach
Der Adelbodner liebt die Emotion im Bild, ohne je in eine inhaltliche oder formale Unschärfe abzudriften. Von ihm sind in den letzten «Gazette»-Ausgaben öfters Bilder erschienen. Der 53-Jährige, der neben Landschaften auch abstrakte Motive aus der Natur fotografiert, hat den Anspruch, so naturgetreu wie möglich zu fotografieren, und sieht in der Wahl des Ausschnittes ein starkes Gestaltungsmittel. Die Freude an der Fotografie entfachte jung auf Auslandreisen durch die USA und Kanada.
Spielerisch: Anja Zurbrügg
Die 28-Jährige ist ausgebildete Fotografin. Nach einigen Lehr- und Wanderjahren kehrte sie 2016 nach Adelboden zurück und bestreitet seither ihren Lebensunterhalt vollumfänglich mit der Fotografie. Ihr spielerischer Umgang mit der Kamera fällt auf. Mit ihrer Arbeit – neben Landschaften porträtiert sie auch Einzelpersonen, Paare und fotografiert an Hochzeiten – will sie den Betrachter berühren. Dazu sucht sie ungewöhnliche Perspektiven und bricht gerne auch mit Konventionen. Sie liebt satte Farben und sagt: «Heute, wo jeder rumknipst, soll der Betrachter sehen, dass ich mir viel überlegt habe.»
Spannende Perspektiven: Peter Allenbach
Das Nebulöse ist seine Sache nicht. Peter Allenbachs Bilder sind glasklar und leben von kräftigen Farben. Sein fotografisches Auge, also auch sein Sinn für den spannenden Ausschnitt, lässt ihn weder beim Fotografieren von Bergblumen noch Alpentieren und Landschaften im Stich. Oftmals überrascht er mit eigenwilligen Sujets, so mit Ansichten von bekannten Bergen, die man aus der neuen Perspektive nicht erkennt. Mit dem Kreieren von Kondolenzkarten hat sich der 75-Jährige ein wichtiges Standbein geschaffen.
Schroffe Schönheit: Martin Germann
Last but keineswegs least ist da der «Impressionist» unter Adelbodens Fotografen, so die vage Selbstbeschreibung seines Stils. Der 55-Jährige ist stark in der Schwarz-Weiss-Fotografie von Berglandschaften und vermag auch mit farbigen Bildern die schroffe Schönheit der Berge eindrücklich wiederzugeben. Von ihm stammt denn auch das Titelbild. «Ich nehme mir Zeit für ein Bild und schiesse nicht einfach drauflos», sagt der begeisterte Alpinist, der für 2018 eine längere Peru-Reise plant. Er will für einen Bildband das Leben der indigenen Bevölkerung dokumentieren.