Dialekt
1. November 2022 – Franziska Richard
Für die Unterländer klingt die Art, wie man im Oberland spricht, vorerst einmal melodiös und witzig. Genaueres Hinhören zeigt, dass es eine grosse Vielfalt an Dialekten gibt und dass, trotz einer generellen Nivellierung, noch immer viel altes Sprachgut erhalten ist.
«Der Luub chunnt wyter wan der Tuub»
Adelbodner Redensart
Der «Luub» ist der Liebe, Freundliche, der «Tuub» der Zornige, und mit der obigen Adelbodner Redensart stecken wir bereits mitten in der Sprachgeschichte. Dieses «Luub» und dieses «Tuub» haben nämlich – gegenüber dem Mittelberndeutschen – eine Modernisierung erfahren (von «Loub» zu «Loob/Luub» bzw. von «Toub» zu «Toob/Tuub»). Doch der umgekehrte Fall ist häufi ger: Die im Süden der Deutschschweiz vorkommenden Mundarten bewahren tenden ziell alte Formen, während diese nördlich verdrängt wurden. Eine wichtige Trennlinie – jene der Hiatusdiphthongierung – führt von Murten über den Thuner- und Brienzersee weiter in die Innerschweiz. Südlich davon heisst es «schnii(j)e» und «buu(w)e», nördlich «schneie» und «boue». Die Mundarten des Oberlandes gehören zu den höchstalemannischen Dialekten. Weiter wird zwischen Hochalemannisch (wozu das Mittelberndeutsche zählt) und Niederalemannisch (Badisch/ Elsässisch) unterschieden. Nicht kratziger als anderswo – Doch das Alte ist nicht unbedingt das Kratzigere und Hinterwäldlerische, nein, oftmals das Elegantere: Die Oberländer nehmen es mit den Fällen recht genau. Im Dativ Mehrzahl heisst es: «A(n) de(n) Böime(n)». Fremd sind ihnen auch die harten ch-Laute, wie sie im Unterland gesprochen werden. Das weiche «ch» in «Chees» geht ihnen geschmeidig über die Lippen. Das etwas breite «U» und «Ng» des Landberndeutschen kennt man im Oberland nicht. Hier heisst es wie in der Hochsprache Hund (statt «Hung») und Milch (statt «Miuch»).
Die Oberländer walzen ihre Sprache nicht breit, das können sie gar nicht. Die Konsonanten l, m und n werden einfach, also schnell ausgesprochen. «I ha wele warte, si ischt gschwume, zwo Tani». Im Oberland wird beim Sprechen fast etwas gesungen. Bereits 1819 schwärmte der Sprachforscher Franz Joseph Stalder, der Oberländer Dialekt sei der «weichste und lieblichste von allen». Auch heute schaff en es die berndeutschen Dialekte bei den regelmässig durchgeführten Mundart-Hitparaden immer wieder auf die oberen Ränge.
Für die Unterländer klingt die Art, wie man im Oberland spricht, vorerst einmal melodiös und witzig. Genaueres Hinhören zeigt, dass es eine grosse Vielfalt an Dialekten gibt und dass, trotz einer generellen Nivellierung, noch immer viel altes Sprachgut erhalten ist. Der Wortschatz eines Tales spiegelt auch die Lebensart und Denkweise seiner Bewohner. In Adelboden existiert der Begriff «aabe sitze», was das gemütliche Zusammensitzen und Plaudern mit Nachbarn meint. Wer im einst unter Armut leidenden Tal an Körperumfang zulegt, ist nicht einfach dick geworden, sondern «het gmunteret».
«Mit Dichten die Sprache retten»
Maria Lauber
Ein Eintauchen in diese melodiöse, auch klangstarke und bildhafte Sprache macht das kürzlich im Zytglogge Verlag erschienene Lesebuch «Ischt net mys Tal emitts» von Maria Lauber möglich. Dieses wurde von der Kulturgutstiftung Frutigland anlässlich des 125. Geburtstages der bedeutenden Frutiger Schriftstellerin herausgegeben, mit dabei eine CD des Frutiger Singers und Songwriters Christoph Trummer, der ihre Texte vertont hat.
Maria Lauber, die befürchtete, ihre Sprache sei «am Vergah», bezweckte mit ihrer Mundartdichtung schliesslich auch, die Sprache ihres Tales zu retten, wie der Linguist und Maria-Lauber-Biograf Erich Blatter betont. Sprache im Wandel – Dieses «Vergah» heisst heute eher Bahnhofbuff et-Olten-Eff ekt. Die Sprache in Zentren wie Interlaken und Thun unterscheidet sich mittlerweile kaum mehr von jener in Bern. Erich Blatter geht noch weiter und spricht vom «Dorf als Einfallstor». Das Mittelberndeutsche, angesichts seiner Popularität schweizweit und seiner weiten Verbreitung generell im Vormarsch, dringe heute bis ins Kandertal, weiss Blatter und präzisiert: «Dieser Wandel zeigt sich primär in der Aussprache und im Wortschatz. » So verschwänden zunehmend die alten Endungen mit -a (früher Gabla, heute Gablä etc.). «In Gefahr ist auch die Hiatusdiphthongierung.» Dr Buum wird zum Boum, d’Liitere zur Leitere.
Zunehmende Mobilität, Migration und der Einfluss der elektronischen Medien und Kommunikation sind gemäss Blatter Gründe für diese Entwicklung. Wie alle Sprachen befänden sich auch die Oberländer Dialekte in einem «instabilen Gleichgewicht», schwankten zwischen Dynamik und Statik. Ein Blick in die Schulstuben bestätigt dies. «So urchig wie in meiner Kindheit wird heute in Adelboden nicht mehr gesprochen, der Dialekt hat sich etwas abgeschliffen», sagt Christine Savino, Lehrerin der Mittelstufe in Adelboden. Signifi kante Veränderungen stellt die Adelbodnerin jedoch keine fest, zumal die mehrheitlich einheimischen Eltern den hiesigen Dialekt sprächen und die Migration gering sei.
Relativ schwach ist denn auch die Abfärbung durch den Tourismus. Die Entlehnung von französischen Ausdrücken wie «im generée» und «Säntinà» (Rappenstück) geht ins 19. Jahrhundert zurück, als es chic war, französische Begriffe zu verwenden. Identifikation – Oberländisch ist nicht einfach oberländisch. Die Dialekte können zwischen dem östlichen und westlichen Berner Oberland stark variieren. Während das östliche Berner Oberland den Bergdialekten der Innerschweiz recht nahesteht, sind im westlichen Oberland die Einflüsse des bernischen Mittellandes stärker.
Generell gilt: Je weiter hinten in den Tälern, desto lebendiger und reicher das alte Wortgut. Und schliesslich dient die Sprache auch der Abgrenzung. Noch heute sehen viele im Unterland lebende Oberländer keinen Anlass, ihren Dialekt abzulegen. Erich Blatter, gebürtiger Frutiger und seit Jahrzehnten in Bern wohnhaft, ist so einer: «Ich habe mein Frutig tütsch in leicht abgeschwächter Form beibehalten. Eine Identitätsfrage.»