Die Formen des Wanderns

Die Formen des Wanderns

21. Juni 2024 – Tomas Niederberghaus und Franziska Richard

Wandern macht glücklich. Das ist schon beinahe eine Binsenwahrheit. Weniger bewusst ist uns, dass Wandern verschiedene Diszipline kennt. Bergauf, bergab und eben wandern, das ist nun wahrlich nicht das Gleiche.

Ein berühmter Bergsteiger wurde einmal gefragt, warum er auf hohe Berge steige. Seine Antwort lautete: «Weil sie da sind!» Hinter der lapidaren und fast schon trotzigen Antwort steckt aber eine versteckte Motivation: nämlich Neugier. Und die wird belohnt. Denn Berge machen glücklich eine Art Antidepressivum. Von einem berühmten Psychiater stammt die Aussage, dass Wandern in den Bergen «unbezahlbar wäre, wenn man es als Medikament kaufen müsste». Dieses «Medikament» wirkt erfreulicherweise bei allen hier vorgestellten Disziplinen des Wanderns. Gehen ist wie ein Multitalent und eine Basis für die Gesundheit. Der menschliche Bewegungsapparat, so weiss man, ist für tägliche Strecken von 15 Kilometern konzipiert. Das erreichen zwar die wenigsten. Heute empfehlen Mediziner 8000 bis 10000 Schritte täglich – und schon das ist wie eine Impfung und kann Krankheiten vorbeugen. Wie überall ist die Regelmäßigkeit der Schlüssel zum Erfolg, was auch heisst: Lieber langsam beginnen. «Für den Anfang», sagt der bekannte Sportwissenschaftler Ingo Froböse, «sollte man sich subjektiv unterfordern.

«Wandern in den Bergen wäre unbezahlbar, wenn man es als Medikament kaufen müsste.»

Auch das Spazieren, also das gemächliche Gehen auf flachen Strecken, in Mundart «äbes gha» genannt, beflügelt den Geist. Nicht umsonst gingen und gehen so viele Schriftsteller und Philosophen spazieren, denn es fördert die Kreativität. Und man muss nicht Goethe heissen, um zu wissen, dass die besten Gedanken beim Gehen kommen. Tatsächlich steigert sich beim Gehen im Freien mit der höheren Sauerstoffzufuhr und den ausgeschütteten Botenstoffe – die geistige Leistungsfähigkeit. Subjektiv nehmen wir wahr, dass der Rhythmus des Schreitens das Fliessen der Gedanken auslöst. Das Glücksgefühl steigert sich noch beim leichten Runtergehen, dann «rollen» wir schon fast und erleben das Schreiten beinahe als ein Schweben.  

«Gehen ist wie ein Multitalent und eine Basis für die Gesundheit.»

Runtergehen – also «ahi gha» – steht bekanntlich nicht im besten Ruf, weil es die Knie strapaziert. Zurecht? Nein, weiss die Sportmedizin, bergab zu gehen ist gut für die Koordination des Körpers. Denn auch beim Abwärtsgehen werden Knochen, Sehnen und Gelenke gestärkt, die trainierte Beinmuskulatur entlastet Knie und Hüfte.

Bergwandern – Beim Berg- aufwandern, also «uehi ga», kommen weitere Aspekte hinzu. Der Schritt wird zwar kleiner, das Tempo kommt zurück, denn der Körper muss nun ganze Arbeit leisten. «Bergwandern», sagt die Adelbodner Sport- und Athletiktrainerin und Nationalrätin Andrea Zryd, «ist Ausdauertraining (manchmal gar in intensiver Intervallform) und Krafttraining zugleich. Man geht langsam los bei leichter Intensität, dann geht es bergauf, wobei der ganze Körper, also auch das kardiovaskuläre System, d.h. auch Herz und Lunge, trainiert wird.» Zryd weiss, wovon sie spricht. Ihr Grossvater war Bergführer, ihr Vater Sportlehrer, sie selbst hat Sport und Sportwissenschaften an der Eidg. Hochschule für Sport in Magglingen studiert. Auch sie ist leidenschaftliche Bergwanderin, von Kindesbeinen auf. Beim Bergaufgehen sei eine möglichst kraftsparende und rationelle Technik das Ziel und weniger das Gehtempo.

Kindheitserinnerung

Sinnliches Erleben – Schon als kleines Mädchen hat Andrea Zryd mit ihren Eltern und Geschwistern die Berge um Adelboden erwandert und bestiegen. Besonders in Erinnerung ist ihr die Tour hinauf zum Tschingellochtighorn oberhalb der Engstligenalp. Schritt für Schritt, Tritt für Tritt. Diese Tour sei ganz besonders, weil sie ruhig und anstrengend, aber nicht überfordernd – und gleichzeitig ein wahres Naturerleben sei. Vor allem oben, wo es vom letzten Grün überwechselt zu den Felsen – der Philosoph Friedrich Nietzsche hat diesen Bereich der Landschaft ein- mal als die Schwelle zwischen Leben und Tod bezeichnet. Doch mindestens so stark wie an die Bilder der Landschaft erinnert sich Andrea Zryd an den Duft. Sie sagt: «Die Polsterpflanzen riechen wunderbar herb, besonders, wenn die Morgensonne darauf scheint und der Tau noch auf ihnen liegt. Ein spezieller Geruch entfaltet sich auch, wenn die Sonne die Kalksteine der oberen Adelbodener Berglagen erwärmt.» Und was sie auch noch in schöner Erinnerung hat: Gämse, Steinböcke und Bergdolen, ein tierisches Vergnügen.

ÄBES | RUNTERGEHEN

Will heissen: Spazieren und leichtes Wandern im Tal ohne oder mit geringer Höhendifferenz. Ide- al zum Philosophieren und Plaudern:

Sillerenbühl | via Hahnenmoos
Leichte, 1-stündige Höhenwanderung ohne nennenswerte Auf- und Abstiege. Im Sommer blüht und spriesst es. 

Engstligenalp | Rundwanderung
Der ca. 2.5 Kilometer lange Weg auf dem Hochplateau der Engstligenalp (1962 m) bleibt auf der Ebene, also komplett ohne Auf- und Abstiege, und führt an sprudelndem Wasser und bizarren Gesteinsformationen vorbei. 

Müntiweg zum Wasserfall | via Oey – Unter dem Birg
Leichte, ca. 2½-stündige Wanderung via Oey und Unter dem Birg entlang der lieblichen Engstligen-Bachlandschaft zum stäubenden Wasserfall. 

SÜFERLIG AHI | VORSICHTIG ABSTEIGEN

Sanftes Abwärtswandern, also nur «rollen» lassen. Dies lockert Muskulatur und Geist und ist ideal, um in die Gänge zu kommen.

Rossweid | via Stiegelschwand – Rehärti
Leichte, ca. 2-stündige Wanderung entlang dem Allenbach in schön bewaldeter Bachlandschaft via Rossweid zur Rehärti-Brücke. Von dort Rückkehr auf der Landstrasse ins Dorf. 

Laueli | via Unter dem Birg – Hohliebe
Ca. 2½-stündige Genusstour unter der Baumgrenze ins Laueli mit 400 Höhenmeter Abstieg. Wer in der Oey den Bus nimmt, spart sich den Aufstieg von 260 Höhenmetern.

Stiegelschwand | via Tschenten
Die ca. 3-stündige Wanderung führt sowohl über sonnige Hänge als auch durch schattenspendende Bergwälder in den Stiegelschwand. 

UEHI | AUFSTEIGEN

Bestes Ausdauer- und Krafttraining bieten Aufstiege. Hier unsere Vorschläge:

Tschentenalp | via Bannwald oder Tschentenegg
Auch am Nachmittag ist es für unseren Hausberg nie zu spät. Ideal für das kurze, ca. 1¼-stündige Muskel- und Ausdauertraining. Die ca. 600 Höhenmeter lassen sich sowohl über die kürzere Strecke via Bannwald bezwingen als auch via Tschentenegg. Zurück mit der Gondel. 

Engstligenalp | via Unter dem Birg
Was kommt einem bei diessem sportlichen Aufstieg – 560 Höhenmeter – mehr gelegen als der erfrischende Sprühregen des Engstligen-Wasserfalles? Der gut angelegte, ca. 1-stündige Weg führt auch teilweise durch Felsen. Keine Sorge: Die Kühe schaffen es auch.

Niesen | via Frutigen – Winklen
Die Besteigung der schon fast perfekten Pyramide kostet Sie – mit 1580 Höhenmetern! – schon ziemlich Puste. Und mit 5½ Stunden Wanderzeit auch etwas Ausdauer. Die hier vorgeschlagene Route über Frutigen ist die aussichtsreichste. 

UEHI U AHI | AUFSTEIGEN UND ABSTEIGEN

Geübte und sportliche Bergwanderer können und lieben beides: aufsteigen und absteigen. 

Bunderchrinde | via Bunderalp – Kandersteg
Wer im Bellevue wohnt, hat sie stets vor Augen: die Bunderchrinde (2385 m), diese Lücke am Himmel. Bei der sportlichen, 5 ½-stündigen Passwanderung werden 1080 Höhenmeter (3 ½ Stunden Aufstieg) bezwungen und bis Allmenalp (Bergbahn nach Kandersteg) 660 Meter Abstieg. Mit Traumblick auf das Dreigestirn Altels, Doldenhorn und Blüemlisalp. 

Äugiweg | via Hahnenmoos – Ammertenspitze 
Der Äugiweg gehört zu den spektakulärsten Touren Adelbodens. Auf grünen Weiden beginnend, führt der Bergweg ins alpine Gebirge rund um die Ammertenspitze (2613 m) mit atemberaubender Aussicht auf den Wildstrubelgletscher. Vom Gipfel geht’s hinunter auf die blühende Engstligenalp. Eine Wanderzeit von ca. 5 Std. und Auf- und Abstiege von jeweils 650 Höhenmetern sind einzurechnen (kurze Strecke auf Eisentreppen). 

Chindbettipass | via Rote Chumme – Schwarenbach 
Die eindrückliche alpine Wanderung führt über alte, teilweise geröllige Pfade auf den Chindbettipass (2623 m) zur Rote Chumme und von dort auf die grünen Alpweiden im Schwarenbach. Auf Sunnbüel geht’s mit der Bahn runter nach Kandersteg. Die gesamte Wanderzeit beträgt ca. 5 Stunden – mit 670 Höhenmetern Aufstieg und 750 Höhenmetern Abstieg. Möglich ist auch die Rückkehr auf die Engstligenalp.